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Virtuelle Pressekonferenz vom 16.12.2020 zum Thema

"Einsamkeit im chronischen Stress der Corona-Pandemie"

Unterstützung für die Psyche, Wärme für die Seele – wichtiger denn je

Mittwoch, 16. Dezember, 10:00 Uhr

 

Gesprächspartner & Themen:

Priv.-Doz. Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria:

„Die Seelenlage der Bevölkerung Österreichs“

o   Risikofaktor Armut
o   Nähe trotz "Social Distancing"
o   Was die Menschen brauchen

Mag.a Sonja Hörmanseder, Geschäftsfeldleiterin der Krisenhilfe Oberösterreich:

"Einsamkeit hat viele Gesichter"

o   Jeden trifft die Pandemie anders
o   Können digitale Medien Abhilfe verschaffen?
o   Wärme-Pools für die Psyche

Unterlagen und Infos auf: www.medical-media-consulting.at/pressroom

  • Die Texte zu den einzelnen Referaten, Fotos und CV der Vortragenden zum Download
  • Video-Aufzeichnung der virtuellen Pressekonferenz ab dem frühen Nachmittag verfügbar

Aktuelle Presseanfragen
Urban & Schenk medical media consulting
Barbara Urban: +43 664/41 69 4 59, barbara.urbanmedical-media-consultingat
Mag. Harald Schenk: +43 664/160 75 99, harald.schenkmedical-media-consultingat

Allgemeine Anfragen
Romina Holzmann-Schöpf MA
Projektmanagement Erste Hilfe für die Seele
Bundessekretariat pro mente Austria
Telefonische Erreichbarkeit: Montag bis Donnerstag
Johann-Konrad-Vogel-Straße 13
4020 Linz
+43 664 621 85 47
holzmannpromenteaustriaat
www.promenteaustria.at

Dr. Günter Klug
Dr. Günter Klug (Foto: Carina Ott)

Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria

Einsamkeit im chronischen Stress der Corona-Pandemie

Sehen wir den Dingen ins Auge: All die Probleme, die wir jetzt unter COVID-19 beklagen, gab es auch schon vorher. Die Pandemie verstärkt diese jedoch massiv und manche Zusammenhänge werden uns dadurch bewusster. Wir leben schon länger in einer Zeit der raschen Veränderungen und des darauf basierenden schnellen gesellschaftlichen Wandels. Faktum ist aber auch: Wir müssen damit zurechtkommen, ob wir wollen oder nicht. Das steigert jedoch den Stress in vielen Bereichen. Einer der gewichtigsten Stressfaktoren ist die zunehmende Vereinsamung. Wissenschaftliche Studien belegen eindeutig: Einsamkeit gefährdet die Gesundheit massiv.

Risikofaktor Kleinfamilie

Es sind verschiedene Faktoren, die das „Einsamkeitsrisiko“ erhöhen. Einer davon ist die Kleinfamilie. Die durchschnittliche Familiengröße nimmt ab, ca. 50% der Menschen in Städten leben in Einzelhaushalten oder sind AlleinerzieherInnen. Das bedeutet: Sie müssen jede Entscheidung selbst tragen und sind auch für das Einkommen allein verantwortlich. Sozialkontakte fanden in der Vergangenheit oft außer Haus statt, was zurzeit durch die Corona-bedingten Schutzmaßnahmen erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht ist. So kann es leicht dazu kommen, dass Betroffene in eine ungewollte Isolation geraten und vereinsamen.

Virtuelle Welt schlägt persönlichen Kontakt

Ein weiterer Risikofaktor ist die Reduktion von persönlichen Kontakten. Nicht nur Corona-bedingt, aber dadurch nochmals forciert, wird die Zeit immer kürzer, die wir im direkten persönlichen Gespräch verbringen. Dafür steigt die Verweildauer vor Bildschirmen und wir beschäftigen uns – v.a. in Sozialen Medien, in der Werbung und in der Promi-Berichterstattung – mit geschönten Stories, mit denen unser eigenes Leben im Normalfall nicht mithalten kann. Auf Facebook oder Instagram wirken alle Menschen glücklich, jede/r im Kreis ihrer/seiner Lieben, an wunderschönen Orten, bei Sport und Abenteuer oder anderen schönen Aktivitäten. Gerade in der Advent- und Weihnachtszeit, einer für die meisten bei uns ohnedies besonders emotionalen Zeit, kann dieses Vergleichen sehr schmerzlich sein.

Bereits im Vorjahr hat sich die Weltgesundheitsorganisation WHO besorgt geäußert, dass immer mehr Menschen alleine leben und auch ihre Zeit alleine verbringen. Nach einer Statistik der EU verbringen bestürzende 7% der Bevölkerung nie Zeit mit FreundInnen und Verwandten. Und das Jahr für Jahr!

Zu viel oder zu wenig Job

Gleichzeitig geht die soziale Schere immer weiter auf. Einige arbeiten mehr als ihnen guttut, andere verlieren ihre Jobs oder können von ihrem Einkommen nicht mehr leben. Hier zeigt sich, wie radikal sich auch der Arbeitsmarkt verändert. Neue und andere Berufsgruppen sind gefragt, andere werden nicht mehr gebraucht. Die Folgen sind Überlastung, finanzielle Nöte und Einsamkeit – in Summe verursacht dies starken, teils chronischen Stress.

Lebensgefährliche Einsamkeit

„Kodokushi“ ist japanisch und bedeutet „einsames Sterben“ oder „einsamer Tod“. Dieser Begriff wurde in Japan in den 1980er Jahren geprägt für jene Menschen, die in sozialer Isolation leben und vereinsamt sterben. Dies zeigt sehr deutlich, welche tragischen Konsequenzen unbeachtete und unbehandelte Einsamkeit nach sich ziehen kann.

Studien zeigen, dass auch schon vor der COVID-19-Pandemie viele Menschen vom Thema Einsamkeit betroffen waren, und zwar in allen Bevölkerungsgruppen. Wobei Jugendliche und ältere Menschen am schwersten durch Einsamkeit belastet waren. Diese Entwicklung hat sich durch die Pandemie nun nochmals verschärft. Nicht umsonst wurde in England bereits vor COVID-19 im Jahr 2018 ein Ministerium für Einsamkeit geschaffen. Die damalige britische Premierministerin Theresa May wollte damit ein Zeichen setzen und der Vereinsamung der Gesellschaft entgegenwirken. May begründete die Innovation im Hinblick auf die traurige Realität, dass sich laut einer Umfrage des Roten Kreuzes mehr als neun Millionen der über 66 Millionen BritInnen immer oder häufig einsam fühlen.

Einsamkeit ist lebensbedrohlicher als Rauchen, hoher Blutdruck oder Übergewicht

Die derzeitigen sozialen und demografischen Trends tragen dazu bei, dass die Zahl der Menschen mit erhöhtem Einsamkeits-Risiko [1] steigt. Sozial isolierte Menschen haben ein 2-3 fach höheres Risiko, in einem bestimmten Zeitraum zu sterben [2]. Soziale Desintegration stellt für die Verkürzung der Lebenszeit ein höheres Risiko als Übergewicht, hoher Blutdruck oder Rauchen dar [3].

Corona-Pandemie verschärft bestehenden psychischen Stress

Wenn in dieser Zeit der dramatischen Veränderungen eine Pandemie dieses Ausmaßes auftritt, hat das natürlich schwerwiegende Folgen. Sie wirkt wie eine Lupe oder ein Brennglas und vergrößert jedes dieser Probleme.

Eine EU-weite Studie des Unternehmens Kaspersky zeigt, dass im ersten Lockdown ca. 47% der ÖsterreicherInnen zumindest gelegentlich Einsamkeit empfanden (EU-Schnitt 52%). Vor allem die jüngere Generation war besonders stark davon betroffen.70% glauben zwar, dass die Digitalisierung geholfen hat, mit anderen Menschen zumindest virtuell in Kontakt zu bleiben, aber nur 42% (EU 52%) glauben, dass die virtuelle Kommunikation auch dabei hilft, Einsamkeit zu bekämpfen.

Studien aus dem ersten Lockdown zeigen weiters, dass der psychische Stress deutlich gestiegen ist. Ältere Menschen wurden zu ihrem eigenen Schutz ausgegrenzt, verloren dadurch aber Kontakte und vereinsamten.

Jugendliche stresst Pandemie besonders, Eltern aber auch

Zirka ein Drittel der Jugendlichen, aber auch deren Eltern zeigten während des Lockdowns einen deutlichen Anstieg von Stress. Bei Jugendlichen stand die Stresszunahme in direktem Zusammenhang mit der Zeitdauer, die sie zu Hause verbrachten, ob sie finanzielle Probleme hatten und ob sie in der Lage waren, die hochkommenden Gefühle wie Einsamkeit, Enttäuschung, Wut etc. für sich selbst zu regulieren.

Besonders betroffen sind Jugendliche deshalb, weil bei ihnen Angst, weniger soziale Kontakte und Verlust der Tagesstruktur in eine Zeit der massiven neurobiologischen und psychologischen Veränderungen fallen [4]. Wie stark sich die negativen Auswirkungen dieses Stresses, egal ob durch schwierige finanzielle Rahmenbedingungen oder Einsamkeit bedingt, manifestieren, hängen vom Alter der Jugendlichen und der Dauer der Problematik ab [5].

Bei den Eltern traf es mehr die Frauen in Städten, mit finanziellen Problemen, mit gestressten Kindern und mit der Unfähigkeit, massiv ausgedrückte Gefühle richtig und nicht persönlich interpretieren zu können. [6]

Es zeigt sich also, dass viele Menschen – auch ohne eine vorbestehende psychische Problematik – mit der Situation in der Pandemie nicht gut zurechtgekommen sind.

Menschen mit psychischen Problemen noch schwerer betroffen

Die Corona-Pandemie stellt eine komplexe Belastungssituation dar. Sie geht an kaum jemand spurlos vorüber, egal ob man ein psychisch erkrankter Mensch oder ein prinzipiell psychisch gesunder Mensch ist. Die Krisensituation betrifft – wenn auch in unterschiedlichem Maße – fast jede/n. Nach neun Monaten Pandemie sind wir inzwischen alle, egal ob psychisch krank oder gesund, „gezeichnet“. Die Hoffnung auf ein rasches Ende hat sich nicht bewahrheitet, der zweite Lockdown fällt uns aufgrund von Erschöpfung und Enttäuschung viel schwerer als der erste, unsere Widerstandskraft sinkt.

Was aber bedeutet das für Menschen, die schon vorher unter einer psychischen Problemstellung litten? Ihre geschwächte psychische Abwehrkraft ist natürlich noch leichter überfordert. Zuallererst kommt es zu einer Verstärkung der ohnehin schon bestehenden Themen. In der Folge kommen dann noch Ängste, Unruhe und stressbedingte psychische Probleme bis hin zur Suizidalität dazu. Gleichzeitig sind die Krankenhäuser Pandemie-bedingt schwerer zu erreichen und der ambulante Sektor, die niedergelassenen Berufsgruppen und psychosozialen Dienste sind durch die Vorsichtsmaßnahmen behindert und daher überfordert. Eine fatale Kombination.

Je länger dieser Zustand besteht, desto schwieriger wird es für alle, stabil zu bleiben. Besonders kritisch ist dabei die Tatsache, dass die Folgen einer solchen Belastung oft nicht gleich zum Vorschein kommen, sondern es oft Wochen und Monate dauert, bis sie sichtbar werden. Daher ist es von großer Wichtigkeit, dass gerade Menschen, die schon vor der Krise an psychischen Problemen gelitten haben, weiterhin betreut werden bzw. Hilfe und Unterstützung finden.

Verunsicherung am Arbeitsplatz

Zusätzlich kommen neue Belastungen hinzu. Firmen beginnen von der Kurzarbeit ins „Entlassungsmanagement“ überzugehen. Sie nutzen die Zeit teilweise auch, um „sich personell neu aufzustellen“ oder, „lüften ihr Personal“, wie das mitunter euphemistisch bezeichnet wird.

Die Folgen der Verunsicherung und der finanziellen Krise treffen bereits pandemiegezeichnete Menschen naturgemäß noch schwerer. Faktum ist, dass alle Menschen noch Monate, manche Jahre brauchen werden, um die Folgen dieser Zeit aufzuarbeiten.

Große Aufgaben für die Zukunft

Was aber würden die Menschen nun brauchen?

  • finanzielle Sicherheit: das eigene Leben gut weiterführen können (Arbeit, Einkommen, Wohnung, gesunde Ernährung etc.)
  • humane Sicherheit: die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten durch Bildung, Anregung, Kunst, Bewegung etc. entwickeln zu können
  • soziale Sicherheit: Zeit und Möglichkeit, soziale Ressourcen zu pflegen, und das nicht nur zu Hause, sondern auch in einem motivierenden Umfeld [7]

Um gut durch die Krise zu kommen, muss auch die Hoffnung auf eine stabile Zukunft ermöglicht werden. Dazu braucht es:

  • ein klares, verständliches und nachvollziehbares Vorgehen der Regierung mit guten Erklärungen, das uns gut durch die Zeit der Krise führt
  • eine Stabilisierung des Arbeitsmarktes
  • ein frühzeitiges und effizientes Unterstützen nicht nur bei wirtschaftlichen, sondern auch bei psychischen und sozialen Problemen
  • Projekte gegen Einsamkeit und Stress auf breiter Ebene, da sie Auslöser für körperliche und psychische Erkrankungen sind
  • die Gewährleistung, dass die Aufnahme in stationäre Einrichtungen auch für psychisch Erkrankte selbst während der Pandemie immer problemlos möglich ist
  • bereits jetzt die Erarbeitung langfristiger, realistischer Konzepte für die „Zeit danach“ hinsichtlich wirtschaftlicher, humaner und sozialer Sicherheit

Zusammenfassend ist zu sagen: Österreich hat noch viele „Baustellen“ in der psychosozialen Versorgung. Durch die zu erwartende höhere Zahl der Betroffenen über die nächsten Jahre hinweg muss dieser Bereich dringend gestärkt werden. Wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, ist mit massiven Sparpaketen zu rechnen. Es ist von größter Wichtigkeit darauf zu achten, dass der psychosoziale Bereich bei diesen Sparpaketen nicht „unter die Räder“ kommt!

Worte prägen das Denken

Anzumerken ist zum Thema Einsamkeit auch, wie unser Denken durch die Begriffe beeinflusst wird: Daher wäre es im Sinne eines positiven Mind-Settings wichtig, den Begriff Sozial Distancing durch den Begriff Physical Distancing zu eretzen. Wir müssen uns zwar körperlich getrennt aufhalten, müssen aber soziale Kontakte sehr wohl auf andere Art aufrechterhalten.

Priv.-Doz. PD. Dr. Günter Klug
Präsident der pro mente Austria
Obmann der "Psychosozialen Dienste Steiermark"
Med. Geschäftsführer der "Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit GmbH"

Rückfragen Presse
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Mag. Harald Schenk: +43 664/160 75 99
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[1] Masi et al. 2011
[2] House et al 1988
[3] Holt-Lunstad 2010
[4] Grant KE et al 2006
[5] Whitside-Mansell 97, Duncan, Brooks-Gunn 97
[6] .Pasche K. in press
[7] White 82


Mag.a Sonja Hörmanseder
Mag.a Sonja Hörmanseder (Foto: Thomas Hackl)

Mag.a Sonja Hörmanseder, Geschäftsfeldleiterin der Krisenhilfe Oberösterreich

Einsamkeit hat viele Gesichter

Jeden trifft die Pandemie anders

Florian P. ist Student im ersten Semester und lebt seit Sommer dieses Jahres allein in einer kleinen Studentenwohnung in einer ihm noch unvertrauten Stadt. Corona-bedingt hatte er bisher keine Möglichkeiten, die Universität zu besuchen und Mit-StudentInnen kennenzulernen. Seit zwei Wochen schläft er sehr schlecht, ist gereizt.

Nadine M. ist alleinstehend und lebt mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern auf dem Land. Homeoffice, Homeschooling und Geldsorgen belasten sie. Im Moment kann sie aufgrund der Vorsichtsmaßnahmen ihrem geliebten Hobby, dem Tanzen, nicht nachgehen. Auch die Partnersuche gestaltet sich sehr schwierig.

Yusuf O. ist seit einem Jahr Witwer, nachdem seine Frau nach schwerer Krankheit verstorben ist. Sein Sohn lebt mit seiner Familie in der Nachbarstadt, aus Angst vor Ansteckung kommt es aber kaum zu persönlichen Kontakten.

Andrea F. arbeitet Vollzeit in einer großen Werbeagentur, normalerweise mitten unter vielen KollegInnen. Eigentlich lebt sie für ihren Job und genießt den regen Kontakt zu den anderen MitarbeiterInnen. Derzeit erledigt sie ihre Aufgaben ohne Freude im Homeoffice; Kontakt zu den KollegInnen hat sie nur sporadisch, und wenn, dann telefonisch oder via Onlinebesprechungen. Sie lebt mit ihrem Mann in einem Einfamilienhaus; das Paar hat sich nach vielen Ehejahren auseinandergelebt.

Einsamkeit ist individuell

Eine Sache haben diese vier so unterschiedlichen Menschen gemein: Sie sind einsam. Einsamkeit hat viele Gesichter und nicht – wie viele meinen – nur alte und alleinstehende Menschen sind davon betroffen. Vereinsamung ist gegenwärtig eine gesellschaftlich weit verbreitete Entwicklung – quer durch alle Altersgruppen, quer durch alle Schichten; wobei eine angespannte finanzielle Situation das Problem häufig noch zusätzlich verschärft.

Viele alte Menschen vereinsamen aber tatsächlich massiv durch die ihrem Schutz dienende Isolation wie z.B. dem Besuchsverbot in Seniorenheimen. Zeitgleich gibt es auch einen auf den ersten Blick paradox wirkenden Effekt im Hinblick auf die vermeintlich immer gültige Trias „Corona, Alter und Einsamkeit“: Es hat sich gezeigt, dass es durchaus alte Menschen gibt, die unter der Corona-Krise nicht so dramatisch leiden wie junge. Der Grund dafür: Sie verfügen durch frühere einschneidende Erlebnisse über ein besonderes Maß an Resilienz – „man hätte schon ganz andere Krisen wie Krieg, Flucht und Hunger oder persönliche Tiefschläge bewältigt“ – die ihnen den Umgang mit der Situation erleichtert. Ältere Menschen verfügen im Regelfall ganz allgemein auch über weniger Sozialkontakte als jüngere, diese sind aber in Krisensituationen oft tragfähiger. Somit kann es durchaus sein, dass sich junge und jüngere Menschen in noch stärkerem Ausmaß von den Auswirkungen der Pandemie betroffen fühlen als manche ältere oder alte Menschen.

Einsamkeit ist kein neues gesellschaftliches Phänomen; es gab sie schon immer, doch die Corona-Krise verschärft das Problem, wirkt wie ein „Brandbeschleuniger“. Immer mehr Menschen sind in immer größerem Maße davon betroffen. Für viele eine neue Erfahrung, die neben den unmittelbaren Folgen auch noch andere Gemütszustände mit sich bringt: Einsam-Sein ist oft mit Scham verbunden und wird als Stigma empfunden: Wer einsam ist, sei auch ein Stück weit selbst schuld, denn der/demjenigen fehle es an sozialen Kompetenzen, sie/er mache irgendwas falsch ...

Wenn niemand zum Reden da ist…

Einsamkeit zeigt sich dann, wenn man sich jemandem anvertrauen möchte, aber keine Bezugsperson zum Reden da ist. Besonders betroffen sind gemeinhin Menschen mit chronischen Erkrankungen, psychisch belastete bzw. erkrankte Menschen, ältere Menschen und unfreiwillig Alleinlebende. Neu ist, dass dieses Phänomen nun aber auch deutlich breitere Kreise trifft: Zum Beispiel Menschen, die „mitten im Leben stehen“, auch Jugendliche und junge Erwachsene, die derzeit keine Freunde treffen dürfen bzw. in der Partnersuche behindert sind. Und auch all jene, die sich bewusst dafür entschieden haben, alleine zu leben, derzeit aber nicht ihre Alltagskontakte (im Kaffeehaus, Fitnessstudio, Chor...) wahrnehmen dürfen. Verstärkt betroffen sind auch AlleinerzieherInnen, die mit ihren Belastungen noch mehr als sonst auf sich gestellt sind und sich – häufig zu Recht – im Stich gelassen fühlen. Von Einsamkeit betroffen sind auch Menschen, die sich über ihre Arbeit definieren: Ihnen ist nun im monatelangen Homeoffice eine wichtige Säule des sozialen Lebens abhanden gekommen. Ähnlich ergeht es vielen Menschen, die in Pension sind.

Selbst ein Mensch, der sich in einer Partnerschaft befindet oder oft „unter Leuten“ ist, kann einsam sein – es geht immer um das Vorhandensein oder eben um das Fehlen von Beziehung, Nähe, Verständnis und Vertrauen.

Einsamkeit und die Überforderung mit der jetzigen Situation führen häufig zu psychischen Krisen. Und für diese psychischen Krisen braucht es ein vielschichtiges System der Intervention und Hilfe. pro mente Austria trägt durch das vielfältige Angebot seiner Trägerorganisationen maßgeblich in Österreich dazu bei, Menschen in Krisensituationen aufzufangen und zu betreuen (www.promenteaustria.at).

Kein Schaden ohne Nutzen

Aber es gibt auch eine positive Seite, denn die aktuelle Krisensituation bietet durchaus auch eine Chance. Im Moment kann jeder das Gefühl von Isolation und Einsamkeit gut nachvollziehen, auch jene, denen dieses Gefühl vor der Corona-Pandemie noch unbekannt war. Möglicherweise trägt diese Erfahrung, die derzeit sehr viele Menschen in der einen oder anderen Weise machen, dazu bei, Einsamkeit ein Stück weit zu entstigmatisieren.

Können digitale Medien Abhilfe schaffen?

Telekommunikationsmittel wie Videotelefonie, Chats oder Social Media bringen nur für einen Teil der Gesellschaft Erleichterung. Einerseits ist der Umgang mit diesen Medien nicht jedermann/frau vertraut, andererseits verfügt längst nicht jeder Haushalt über die notwendigen technischen Voraussetzungen.

Soziale Medien sind grundsätzlich eine gute Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu treten bzw. zu bleiben, denn momentan sind die Möglichkeiten, Sozialkontakte auf einer persönlichen Ebene zu pflegen oder zu knüpfen, extrem eingeschränkt bis gar nicht vorhanden. Gleiches gilt auch für professionelle Hilfsangebote, es bleiben nur Anruf oder Online.

Fakt ist aber auch, dass ein persönliches Gespräch, ein persönlicher Kontakt eigentlich nicht ersetzbar ist. WhatsApp, Facebook, Instagram, aber auch Zoom und Co können reale Kontakte, das Bedürfnis zu einem sozialen Gefüge zu gehören, Geborgenheit, eine Umarmung, Kuscheln etc. nicht ersetzen.

Digitaler Austausch als Notprogramm

Digitale Medien sind nie ein vollwertiger Ersatz für das „echte Leben“, aber ein „Notprogramm“ in diesen herausfordernden Zeiten und sollten auch als solches gesehen werden. Dieses Notprogramm ist dann hilfreich und positiv zu bewerten, wenn man Familie, Freunde, Vereins- oder ArbeitskollegInnen hat und mit diesen Menschen auf digitalem Weg zumindest ein virtuelles Kontakthalten möglich wird. Auf Dauer ist es aber kein probates Mittel, um das soziale Wesen Mensch erfüllend mit emotionalen Impulsen zu versorgen.

Generell stellen soziale Medien kein reales Abbild des Lebens eines Menschen dar. Somit kann es natürlich zu einem Gefühl der Benachteiligung und einer Verstärkung der Einsamkeit und der eigenen Unzulänglichkeiten kommen. Was somit auch zusätzlich belastend wirken kann.

„Wärme-Pools“ für die Psyche

Derzeit kann man nur eingeschränkt und in reduzierter Form mit anderen Menschen in Kontakt treten – und kann somit auch die Einsamkeit nur eingeschränkt aktiv bekämpfen. Viele Tagesroutinen und Strukturen gehen in Zeiten der Pandemie verloren und auch das stellt viele einsame Menschen vor ein zusätzliches Problem. Strukturen geben uns Halt, und das ganz besonders in (psychischen) Krisensituationen. Einsamen Menschen geht oft der Antrieb verloren, sich den Tag selbst zu strukturieren und z.B. auch ganz bewusst angenehme Dinge zu planen. Ein Teufelskreis beginnt, negative Gefühle nehmen zu. Und irgendwann nehmen sie überhand, gerade in der für Viele emotional hoch aufgeladenen Advent- und Weihnachtszeit. In diesen Tagen werden Verlust und Einsamkeit besonders schmerzlich empfunden.

Was kann man Menschen – im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe – raten, die einsam sind bzw. durch die Corona-Krise in die Einsamkeit abzugleiten drohen, da die Pandemie-Maßnahmen deren soziale Isolation verstärken? Was kann man tun, um über diese schwere Zeit zu kommen und in Zeiten der Krise „seelisch fit bleiben“?

Tipps für die psychische Gesundheit

  • In „Bewegung bleiben“ und „Taktgeber der inneren Uhr“ nützen! Die Möglichkeiten, die uns trotz Pandemie-bedingter Einschränkungen noch zur Verfügung stehen, wie Bewegung im Freien, intensiv nutzen. Bewegung und Tageslicht sind nämlich Faktoren, die bewiesenermaßen einer Depression entgegen- und stimmungsaufhellend wirken. Unser Körper braucht sie als „Taktgeber“ für unsere „innere Uhr“ (zirkardiane Rhythmen). Diese steuert Stoffwechsel, Hormonausschüttung, Verdauung, Körpertemperatur, den Wechsel von Schlaf-Wach-Zeiten und vieles mehr, was für unser Wohlbefinden wichtig ist
  • „Alte Kontakte“ wieder reaktivieren! Von wem hat man schon lange nichts mehr gehört? An wen hat man vielleicht immer wieder gedacht, ohne die Zeit zu haben, ihn zu kontaktieren? Vielleicht ist er/sie auch einsam? Und über ein „Hallo, wie geht es Dir in diesen Zeiten? Bist Du gesund?“ freut sich sicher jede/r
  • Sich bei diversen freiwilligen Tätigkeiten/Organisationen engagieren! Hier gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel die Nachbarschaftshilfe im Ort in Anspruch nehmen, oder, je nach persönlicher Situation, auch sich selbst zur Nachbarschaftshilfe anbieten und für andere Menschen einkaufen gehen oder andere Dinge erledigen
  • Darüber reden! Reden bringt Entlastung – hier sollte man auch die Möglichkeiten an professionellen Unterstützungsangeboten im Bundesland nutzen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass einsame Menschen nicht allein sind mit ihrer Einsamkeit, dass es gerade auch während der Pandemie viele Menschen gibt, die in ähnlicher Weise betroffen sind
  • Sich auf die eigenen Ressourcen besinnen! Körperarbeit wie Yoga, Pilates, Sitzgymnastik oder ähnliches und Entspannendes tun bzw. erstmals entdecken. Im Internet gibt es hierzu ein großes Angebot, auch für Anfänger. Doch auch sich einfach ganz bewusst etwas Gutes tun, seine Lieblingsmusik hören, ein warmes Bad oder eine heiße Dusche nehmen, einen duftenden Tee trinken, ein gutes Buch lesen, die Katze streicheln … all das stimuliert unser Gehirn positiv.
  • Alte Hobbies wieder aufnehmen! Und wenn diese aufgrund der Pandemie-Maßnahmen zurzeit nicht umsetzbar sind – für die Zeit danach planen und überlegen, ob man nicht etwas Neues ausprobieren möchte. Im Internet gibt es z.B. Anleitungen und kreative Ideen (z.B. auf Pinterest) zu vielen Dingen, die man auch während eines Lockdowns machen kann
  • Hilfe annehmen! Sich überwinden und so mutig zu sein, um jemanden um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen, ist der erste Schritt zur Selbsthilfe
  • Den Tag strukturieren! Strukturen geben uns Orientierung und Halt. Daher: Zur gewohnten Zeit aufstehen, zu den gewohnten Zeiten essen, wie üblich schlafen gehen. Vielleicht gibt es Beschäftigungen, zu denen man schon lange nicht mehr gekommen ist? Die Zeit dazu kann jetzt ganz bewusst genützt werden. Tages-, Wochen- und/oder Monatspläne helfen beim Strukturieren. Dabei nicht auf positive und angenehme Kleinigkeiten vergessen; überlegen, was einem Freude bereitet, und dies auch ganz bewusst einplanen. Kontakte (persönlich, z.B. im Freien bei einem Spaziergang, oder telefonisch…) gut auf die Woche verteilen und ebenfalls fix einplanen, um nicht zu lange „Durststrecken“ zu haben – das können auch Kontakte zu „Plaudertelefonen“ oder Krisenhotlines sein

Erste Hilfe für die Seele-Blog! Lesen, mitmachen, sich mit anderen austauschen. Im von pro mente Austria initiierten Blog „Erste Hilfe für die Seele“ gibt es ExpertInnen-Tipps und Erfahrungsberichte von Mitmenschen. Und jeder kann selbst mitmachen. https://www.erstehilfefuerdieseele.at/category/blog/

Kontakt
Mag.a Sonja Hörmanseder
Krisenhilfe OÖ/ pro mente OÖ
Adresse: Scharitzerstrasse 6-8/4.OG; 4020 Linz
Email: sonja.hoermansederkrisenhilfeooeat
Tel.: 0664/8224954

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