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Stellungnahme zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz vom 12.9.2016

Sehr geehrte Damen und Herren!
Bezüglich der Grundsätze sowohl der Inhalte als auch des Prozesses des Entwurfes des Erwachsenenschutz-Gesetzes schließt sich pro mente Austria an die Ausführungen der ÖAR (Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs) an:

  • Die Genese dieses Entwurfes des Erwachsenenschutz-Gesetzes soll künftigen Gesetzesinitiativen, von denen Menschen mit Behinderungen betroffen sind, als Vorbild dienen.
  • pro mente Austria weist ebenfalls darauf hin, dass dieser Gesetzesentwurf alleine nicht ausreicht, Menschen mit Behinderungen umfassend Schutz vor fremdbestimmten Entscheidungen zu bewahren und ihr Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ausüben zu können.
  • Damit das Erwachsenenschutz-Gesetz wie geplant zur Anwendung kommen kann, sind umfassende Sensibilisierungsmaßnahmen sowie Bewusstseinsbildung für alle damit befassten Berufsgruppen, für Betroffene und deren Angehörige sowie für die gesamte Gesellschaft unerlässlich.
  • Es müssen umfassende Programme der unterstützten Entscheidungsfindung auch von den einzelnen Bundesländern erarbeitet und umgesetzt werden. Diese „umfassenden Programme der unterstützten Entscheidungsfindung“ sollten verpflichtend in den Bundesländern implementiert werden. Dieser notwendige Schritt ist deshalb so wichtig, weil bei Nicht-Mitbedenken dieser bundesländerweiten Implementierung die Sorge besteht, dass keine oder unzureichende Maßnahmen entwickelt werden, die die Betroffenen dann nicht in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbst zu treffen (Empowerment-Grundgedanke). Insbesondere auf Basis des Spardrucks bezüglich (psycho-)sozialer Leistungen in den Bundesländern besteht hier Sorge und Bedenken unsererseits. Das Modell der „Sozialnetz-Konferenz“ vom Verein Neustart wäre ein adäquates Vorbild, hier Grundgedanken in diese Implementierung einfließen zu lassen.

Bezüglich der „grundsätzlichen Bewertung“ seitens der ÖAR schließt sich pro mente Austria ebenfalls an die Ausführungen zu den Punkten „Erwachsenenschutz im Lichte der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, „Rechtsanwendung und Praxis“, „Alternative Unterstützungsformen“, „Schulungen und gesellschaftliche Sensibilisierung“ und „Beratungs- und Beschwerdestellen“ an.

Zu den Bestimmungen im Einzelnen:

119a Abs 2 AußStrG:
Hier soll geregelt werden, dass „der betroffenen Person sämtliche Beschlüsse zuzustellen sind, wenn dadurch nicht ihr Wohl gefährdet ist.“
Auch wenn in den EB zur RV argumentiert wird, dass „hier ein strenger Maßstab anzulegen ist; in aller Regel sollte die betroffene Person nämlich Kenntnis von den sie betreffenden Beschlüssen haben)“, widerspricht diese Regelung der Stärkung der Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen und sollte daher auch in diesem Punkt ohne Einschränkung – also ohne Relativierung „wenn dadurch nicht ihr Wohl gefährdet ist“ – normiert werden. Die Einschränkung der Zustellbarkeit würde im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers stehen, weshalb von Fremddefinitionen (wer bestimmt, was das Wohl gefährden könnte?) Abstand genommen werden sollte.

§ 121 Abs 1 AußStrG:
Mit der Einschränkung, dass das Gericht über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters mündlich zu verhandeln hat, „wenn dies die betroffene Person beantragt oder das Gericht für erforderlich hält“, ist die mündliche Verhandlung in diesem Fall nicht mehr zwingend vorgesehen, wodurch das Parteiengehör eingeschränkt wird (Möglichkeit, Fragen zu stellen etc.).
Aus unserer Sicht sollte dieser Passus geändert werden – und eine mündliche Verhandlung in jedem Fall obligatorisch/zwingend sein – und nicht nur dann, wenn dies die betroffene Person beantragt oder das Gericht für erforderlich hält.

§ 124 AußStrG:
Da ja nunmehr eine zeitliche Befristung von 3 Jahren eingeführt wird, sollte zumindest bei Erneuerung/Verlängerung der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters von einer neuerlichen Kostentragung durch den Betroffenen Abstand genommen werden.

§ 127 Abs 3 AußStrG:
Lt. dieser gesetzlichen Regelung soll „einem Angehörigen im Sinn des Abs. 1 gegen den Beschluss über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters im Hinblick auf die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters der Rekurs zustehen“. Aus unserer Sicht sollten Angehörige nur dann ein Rekursrecht erhalten, wenn die betroffene Person dies will/wünscht.

§ 246 Abs 5 ABGB:
Der Ablauf einer gesetzlichen oder gerichtlichen Erwachsenenvertretung nach 3 Jahren ist grundsätzlich zu begrüßen. Wenn aufgrund einer eindeutigen Diagnose- und Befundlage eine längere Dauer mit höchster Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sollte das bereits als Frage im Erstgutachten gestellt und beantwortet werden (z. B. irreversible Beeinträchtigungen) und für solche Fälle ein vereinfachtes Überprüfungs- bzw. Verlängerungsverfahren angestrebt werden. A-4020 Linz, Johann-Konrad-Vogel Straße 13 Tel. +43/732/ 785397 E-Mail: office@promenteaustria.at ZVR: 059519632
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§ 247 ABGB:
Einer der zentralen Kritikpunkte an der bestehenden SachwalterInnen-Praxis – und häufigster Anlass für Beschwerden bei der Volksanwaltschaft – betrifft die fehlende Kontaktmöglichkeit zum/r SachwalterIn (v. a. bei großen Anwaltskanzleien und bei privaten MassensachwalterInnen). Im § 247 ABGB wird zwar der persönliche Kontakt normiert – allerdings nur als „Soll-Bestimmung“. In den EB zur RV wird einerseits auf die Notwendigkeit des persönlichen Kontaktes hingewiesen, gleichzeitig aber die Möglichkeit eröffnet, den Kontakt von geeigneten sozialarbeiterisch geschulten MitarbeiterInnen des Vertreters durchführen zu lassen. In der Praxis sieht das bei den großen Kanzleien dann so aus, dass sie diesen Auftrag an SozialarbeiterInnen delegieren und die Kosten für diese Auftragssozialarbeit den KlientInnen verrechnen. Diese KlientInnen zahlen ohnedies schon Aufwandersatz und Entgelt und dann auch noch für die Besuche. Oft sind es auch nur Hilfskräfte, an welche die persönlichen Kontakte delegiert werden. Wenn der Kontakt nicht verpflichtend im Gesetz normiert wird, bleibt zu befürchten, dass sich an dieser unzulänglichen Praxis nichts ändert.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass der fehlende Kontakt in der bestehenden SachwalterInnen-Praxis häufig Anlass zu Beschwerden ist. Dieses Manko sollte anders und zwingend im Gesetz normiert werden – z. B. „hat zumindest monatlich“. Weiters dürfen Kosten, die durch diese Kontaktaufnahme entstehen, nicht den Betroffenen gesondert verrechnet werden.
In diesem Zusammenhang ist auch auf § 244 Abs 2 ABGB hinzuweisen, dass die Höchstgrenze von 25 Vorsorgevollmachten sehr hoch angesetzt ist. Die Obergrenze der Vorsorgevollmachten sollte auf 15 Vorsorgevollmachten beschränkt werden.

§ 252 ABGB:
Die Verpflichtung des Arztes, sich nachweislich um die Beiziehung von Angehörigen, Vertrauenspersonen oder im Umgang mit solchen Patienten besonders geschulten Fachkräften zu bemühen, die diese Person dabei unterstützen können, ihren Willen zu bilden und zu äußern, ist grundsätzlich zu begrüßen. Folgende Schwierigkeiten sind in und aus der (bisherigen) Praxis absehbar:
1. Eine Definition zur Vorgehensweise und eine Beschreibung der notwendigen Dokumentationsschritte des Arztes sind notwendig. Die gesetzliche Formulierung des „nachweislichen Bemühens“ lässt viel Interpretationsspielraum.
2. Abgesehen von dieser weichen gesetzlichen Formulierung muss festgehalten werden, dass dies Organisationstätigkeiten umfasst, die nicht primär ärztlich, sondern in der Regel sozialarbeiterische Tätigkeiten sind. Ein „Abwälzen“ dieses „nachweislichen Bemühens“ auf Ärzte sollte organisationstechnisch auf die Krankenanstaltenträger bzw. Institutionsträger (, weil dies trifft in erster Linie stationäre PatientInnen) verpflichtend übertragen werden, womit wiederum Personalressourcen zur faktischen Umsetzung dieses „nachweislichen Bemühens“ – auch im Sinne der grundsätzlichen Ratio dieses Gesetzes der Stärkung der Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Beeinträchtigungen – zur Verfügung gestellt werden müssen.

§§ 274 und 275 ABGB – iVm § 244 Abs 2 ABGB:
Bei diesen beiden Paragraphen besteht die Gefahr, dass weiterhin RechtsanwältInnen und NotarInnen eine große Zahl an Personen vertreten und Personensorge, Wunschermitlung und persönlicher Kontakt zu den Betroffenen nicht ausreichend wahrgenommen wird. A-4020 Linz, Johann-Konrad-Vogel Straße 13 Tel. +43/732/ 785397 E-Mail: office@promenteaustria.at ZVR: 059519632
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§ 276 ABGB:
Menschen, die von den Mitgliedsorganisationen von pro mente austria betreut werden und einen Sachwalter – zukünftig Erwachsenenvertreter – haben, verfügen in der Regel über geringes Einkommen und Vermögen bzw. leben oftmals „am Existenzminimum“ (egal, um welche „Grundsicherung“ es sich handelt – sei dies die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, Pensionsleistungen o. ä.). Schon bisher waren im Sachwalterrecht/-gesetz keine „Einkommens-/Vermögensuntergrenzen“ vorgesehen bzw. keine Berücksichtigung von finanziellen Verbindlichkeiten/Verpflichtungen. Der Mangel einer „Einkommens-/Vermögensuntergrenze“ bzw. die Nicht-Berücksichtigung von finanziellen Verbindlichkeiten/Verpflichtungen führt dann dazu, dass Menschen mit geringem Einkommen/Vermögen Aufwandersätze zahlen müssen.

Wir plädieren daher in diesem Zusammenhang
1. für die Einführung einer „Einkommens-/Vermögensuntergrenze“ (z. B. auf Basis des Bedarfsorientierten Mindestsicherungsniveaus) sowie
2. die Koppelung der finanziellen Belastung für Betroffene mit tatsächlich durchgeführter Personensorge, um die im Gesetz vorgesehene Intention der Stärkung der Betroffenen und deren Persönlichkeitsrechte und in diesem Zusammenhang deren verstärkte Einbindung zu gewährleisten.

Der Passus in § 276 Abs 5, dass „der Erwachsenenvertreter die Erfüllung der ihm zuerkannten Beträge nur insoweit fordern darf, als dadurch die Befriedigung der Lebensbedürfnisse der vertretenen Person nicht gefährdet wird“, sichert zwar etwas ab, dass durch Zahlungen des Betroffenen nicht die Befriedigung der Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Im Ergebnis liegt es dann aber wieder am Betroffenen zu beweisen, dass durch die Zahlungen „sein/ihr Wohl“ im Sinne der Befriedigung der Lebensbedürfnisse nicht gefährdet ist. Ab einem bestimmten Einkommens-/Vermögensniveau sind aber jegliche Zahlungen mit einer Gefährdung der Befriedigung der Lebensbedürfnisse verbunden. Daher bedarf es aus unserer Sicht hier einer klaren betragsmäßigen Festlegung einer „Einkommens-/Vermögensuntergrenze“, um weitere Armutsspiralen hintanzuhalten.

In weitere Folge sollte aber daher in einem solchen Fall sinnlogisch auch der Erwachsenenvertreter nicht leer ausgehen, sondern sich an übergeordneter Stelle regressieren können.
Abschließend möchten wir – analog zur Stellungnahme der ÖAR – nochmals betonen, dass das Justizministerium mit beachtenswerten Vorarbeiten mit diesem Ergebnis dieses Entwurfes vorgezeigt hat, dass Partizipation im Sinne der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen funktionieren kann.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Univ.- Doz. Dr. Werner Schöny
Präsident von pro mente Austria

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