„Sozialer Zusammenhalt und seelische Gesundheit in Österreich ist in Gefahr“
pro mente Austria warnt vor weitreichenden Auswirkungen der Krise auf die österreichische Gesellschaft
Corona, der Krieg in der Ukraine, die Energie-Krise und dadurch ausgelöste Teuerungswellen – eine ganze Reihe von Faktoren löst bei den Menschen Ängste und Verunsicherung aus. Auf der persönlichen Ebene sorgt die Veränderung der sozialen Rahmenbedingungen – wachsende Anforderungen am Arbeitsmarkt, der zunehmend ungleiche Zugang zu Bildung, zunehmend ungleich verteilte Chancen u.a.m. – bei immer mehr Menschen für ein massiv erhöhtes Stresslevel. Zusätzlich tragen auch soziale Netzwerke mit all ihren Gefahren auf der persönlichen Ebene zur Verunsicherung bei. Diese Gemengelage gefährdet jedoch nicht nur die seelische Gesundheit der/des Einzelnen, sondern stellt den sozialen Zusammenhalt der österreichischen Gesellschaft in Frage. Im Rahmen einer Pressekonferenz wies pro mente Austria auf diese Problematik hin und thematisierte die erforderlichen Schritte, um dieser Entwicklung entgegenzutreten.
„Wir leben in Österreich in einem Land, das traditionell einen hohen gesellschaftlichen Zusammenhalt hat. Durch viele Entwicklungen in unserer sich massiv verändernden Gesellschaft laufen wir aber Gefahr, diesen nachhaltig zu verlieren“, so Priv.-Doz. Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria.
„Gefährliche Treiber“, so Klug, seien die gestiegenen Anforderungen am Arbeitsmarkt, der zunehmend ungleiche Zugang zu Bildung, zunehmend ungleich verteilte Chancen durch nicht ausreichende Unterstützung für ein teilhabendes Leben, die Veränderung der Altersstruktur sowie soziale Netzwerke mit ihren Algorithmen, die nur mehr die eigene Meinung bestätigen, dadurch Meinungsvielfalt verengen und Vorurteile massiv schüren. Dazu kommen multiple Krisen, die Ängste aktivieren und den Fokus auf das eigene Wohlergehen verstärken, wodurch das Gemeinwohl an Gewicht verliert.
In Summe führe das dazu, dass der langfristige Druck und damit auch der chronische Stress für jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft steigt. Die sozialen Rahmenbedingungen bestimmen aber nicht nur unser generelles Wohlbefinden, sondern auch ganz entscheidend die körperliche und psychische Gesundheit. Je mehr Problembereiche eine Person hat, desto schlimmer werden Druck und Stress. Und dieser chronische Stress macht krank.
Armut gehört zu den wichtigsten Faktoren, die massiven Stress verursachen, da dadurch die Teilhabe am sozialen Leben gefährdet ist. Hoffnungslosigkeit, Rückzug und Scham führen häufig direkt zu Einsamkeit. „Wenn dann auch noch massive private Probleme dazukommen oder die Neigung zu einer psychischen Problematik vorhanden ist oder bereits eine psychische Problematik besteht, wird es besonders dramatisch, da sich die Belastungen potenzieren“, so Klug.
Was also tun gegen den Zerfall des sozialen Zusammenhalts? Klug wies darauf hin, dass „Prävention und frühzeitige Intervention essentiell sind. Kurzfristige Hilfen sind wichtig, sie wirken aber eben auch nur kurzfristig. Eine langfristig Stabilisierung kann nur durch die Schaffung einer ausgewogenen Gesellschaft bewerkstelligt werden.“ Notwendig sei daher die Sicherstellung einer Basis für ein stabiles Leben.
Doch was sind die wesentlichen Schritte dafür? Klug führte folgende Punkte an:
- Armut bekämpfen: Ein Einkommen sichern, von dem man leben kann.
- Bildung fördern: Eine massive Bildungsoffensive und der gleiche Zugang zu Bildung für alle Bevölkerungsschichten.
- Vollzeitkinderbetreuung österreichweit: Macht Vollzeitarbeit erst möglich, die eine wesentliche Voraussetzung für eine gesicherte finanzielle Situation ist.
- Stigmatisierungen auflösen: Wir müssen uns davon lösen, dass nur diejenigen etwas wert sind, die arbeiten. Es gibt Lebenssituationen (Krankheit, fehlende Ausbildung, fehlende Sprachkenntnis etc.), die Arbeit zeitlich befristet oder grundsätzlich nicht zulassen.
- Maßnahmen gegen die Einsamkeit, da diese mit der Armut einen Teufelskreis bildet. Hier sind Initativen erforderlich, die das Treffen im öffentlichen Raum, besonders in Wohnungsnähe, wieder attraktiv machen.
- Meinungsvielfalt wieder als Wert etablieren.
Gesunde Psyche braucht soziales Miteinander
Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota, Vizepräsident von pro mente Austria und Chefarzt des Kuratoriums für psychosoziale Dienste in Wien (PSD), ging in seinen Ausführungen auf „das soziale Wesen Mensch“ ein und betonte, dass „gerade in krisenhaften Zeiten Empathie und ein gedeihliches Miteinander das Mittel der Wahl“ seien. „Social Distancing“, im Zuge der Corona Pandemie verwendeter „Unbegriff des Jahrzehnts“, sei genau das Gegenteil der sozialen Kooperation – ein Verhalten, das historisch gesehen das menschliche Erfolgsgeheimnis sei.
Dieses Erfolgsgeheimnis beruht auf seinen sozialen Fähigkeiten, ganz besonders darauf, sogar in sehr großen Gruppen gemeinsam zu handeln, eine gemeinsame Idee und sogar Geschichte zu entwickeln, an sie zu glauben und sie gemeinsam zu erzählen.
„Soziale“ Medien, die in ihrer Wirkung nur allzu oft „unsozial“ seien, wirken oft als Störfaktor, betonte Psota; sie seien mitunter Ort der völlig haltlosen Behauptungen, der völlig verlogenen Propaganda und zahlloser seltsamer Verschwörungstheorien.“ Und ebenso gab es immer und wird es weiterhin Menschen geben, denen das ‚Spalten‘ von anderen Gruppen Freude bringt. Mittels (anti)sozialer Medien gelingt es heute bloß leichter. „Soziale Kooperation und Integration wirken gesundheitsfördernd“, so Psota weiter, „und zwar letztlich für uns alle. Sozialer Support und soziale Integration sind gesund für unsere Psyche und sogar gesund für unser körperliches Wohl.“
Ganz besonders starken Einfluss habe unser soziales Miteinander auf unser psychisches Befinden. Und so sehr dies natürlich für alle Menschen gilt, so gilt es für diejenigen, denen es a priori psychisch nicht wirklich gut geht, ganz besonders. Damit betrifft es aber sehr viele Menschen in der aktuellen Zeit, da praktisch alle Umfrageergebnisse und Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, dass im Rahmen der verschiedenen Krisen unsere Psyche gelitten hat und zumindest ein Drittel der Bevölkerung gefährdet bis tatsächlich psychisch erkrankt ist. Auch hier gilt: Die Psyche derjenigen, die schon vorher eine angeschlagene seelische Gesundheit hatten, hat noch mehr gelitten.
Psota abschließend: „Es ist uns daher ein großes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass soziale Unterstützung und Kooperation die Basis für eine gesunde Gesellschaft darstellt und gerade jetzt ein Gebot der Stunde ist, um sozialen Frieden und eine gelingende Krisenbewältigung zu ermöglichen.“
Keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit
Dr.in Karin Reiter-Prinz, Vorstandsmitglied von pro mente Austria und Geschäftsführerin der pro mente Reha GmbH, stellte ihren Ausführungen den Leitsatz der WHO „Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit“ voran. Sie unterstrich die Tatsache, dass „psychische Gesundheit ein integraler Bestandteil von Gesundheit und Wohlbefinden (ist), der unsere individuellen und kollektiven Fähigkeiten untermauert, Entscheidungen zu treffen, Beziehungen aufzubauen und die Welt, in der wir leben, zu gestalten.“
Reiter-Prinz betonte, dass daher der psychischen Gesundheit im Kurativen und vor allem in puncto Krankheitsvorbeugung bzw. Krankheitsverhütung ein genauso hoher Stellenwert eingeräumt werden müsse wie der physischen Gesundheit.
„Auch Im Sinne der Prävention sollten wir uns fragen: Trägt mein tägliches Tun zum Wohle meiner seelischen Gesundheit bei? Ist mein Leben, sind meine Beziehungen so gestaltet, dass sie meine psychische Gesundheit – und die meiner Mitmenschen – fördern?“, so Reiter-Prinz. pro mente Austria entwickelte schon vor einigen Jahren die „10 Schritte für psychische Gesundheit“; 10 Tipps, die zur seelischen Gesundheit beitragen (www.promenteaustria.at).
Prävention ist also wichtig – allerdings ist sie gleichzeitig kein Garant dafür, dass psychische Erkrankungen komplett hintangehalten werden können. Daher sei auf erste Anzeichen zu achten und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Psychische Erkrankungen – häufigste Ursache für Frühpension
Reiter Prinz: „Insbesondere was die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit betrifft, gibt es noch Luft nach oben. Wir wissen, dass psychische Erkrankungen die häufigste Ursache für einen vorzeitigen Pensionsantritt sind. Hier könnte eine gezielte, frühe Intervention – in Form von inhaltlich auf seelische Gesundheit adaptierten und fokussierten Kur- oder GVA (Gesundheitsvorsorge Aktiv)-Aufenthalten – den Erhalt der Erwerbsfähigkeit bzw. die Bewältigung des Alltags begünstigen. Und davon profitieren dann nicht nur das Pensions- und Krankenkassensystem, sondern in erster Linie natürlich der Mensch und seine Familie, sein Freizeit- und Arbeitsumfeld.“
Aber auch hier gelte: Ein ausgeklügeltes System der Prävention und frühen Intervention kann nicht verhindern, dass Menschen psychisch erkranken. Neben der Akutversorgung kommt der Rehabilitation daher ein wesentlicher Stellenwert zu. Durch sie gelingt es, Menschen mit seelischen Erkrankungen wieder zur Erwerbsarbeit bzw. zur sozialen Teilhabe zu befähigen.
Die Zurverfügungstellung von zusätzlichen Geldern im Hinblick auf Psychotherapien sei ein erster wichtiger Schritt – jedoch müssen weitere folgen.
pro mente Austria
ist der Dachverband von 25 gemeinnützigen Organisationen, die in Österreich im psychosozialen und sozialpsychiatrischen Bereich tätig sind.
Ziel von pro mente Austria ist es, das Leben und die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen nachhaltig zu verbessern und sie und ihr soziales Umfeld zu unterstützen und zu stärken.
Das Angebot der Mitgliedsorganisationen von pro mente Austria ist breit gefächert. Sie betreuen österreichweit mit ca. 5000 Mitarbeiter*innen jährlich rund 100.000 Menschen mit psychischen oder psychiatrischen Problemen bzw. Erkrankungen.
10 Schritte für psychische Gesundheit
www.promenteaustria.at/de/aktuelles/10-schritte-fuer-psychische-gesundheit/
12 Stunden Seminar „Erste Hilfe für die Seele“
Im wissenschaftlich fundierten Erste Hilfe für die Seele Seminar lernen Sie, wie Sie bei psychischen Problemen Erste Hilfe leisten können. Dazu gehört, rechtzeitig Probleme zu erkennen, auf die Menschen zuzugehen und Hilfe anzubieten. Sie erhalten Grundwissen zu psychischen Störungen und erlernen und üben konkrete Erste Hilfe Maßnahmen bei psychischen Problemen und Krisen.