Stellungnahme von pro mente Austria zum Entwurf des Bundesvergabegesetz 2017
Sehr geehrte Damen und Herren,
pro mente Austria, der Dachverband für psychische und soziale Gesundheit, möchte folgende Stellungnahme zum Bundesvergabegesetz 2017 abgeben:
Bezüglich grundsätzlicher Überlegungen zum Gesetzesentwurf möchte sich pro mente Austria den „allgemeinen Bemerkungen“ der Stellungnahme der VertreterInnen des sozialen Dienstleistungssektors, die ebenfalls eine Stellungnahme abgegeben haben – und zwar ÖAR, arbeit plus, BAG, dabei austria und Sozialwirtschaft Österreich – anschließen. Aufgrund der aus unserer Sicht sehr hohen Relevanz dieser „allgemeinen Bemerkungen“ möchten wir an dieser Stelle nochmals diese wichtigen Punkten zusammenfassend darstellen und ein paar Ergänzungen anführen:
- Soziale Dienstleistungen sind wichtig – und unabdingbar – für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und verdienen daher eine besondere Aufmerksamkeit.
- Soziale Dienstleistungen entziehen sich einer rein marktwirtschaftlichen Betrachtung.
- Soziale Dienstleistungen sind ebenso vielfältig wie die geforderten Qualitäten der von den sozialen Dienstleistungsunternehmen erbrachten Leistungen für sehr unterschiedliche Zielgruppen.
- Transparente Vergabeprozesse nach nachvollziehbaren Kriterien sind durchaus auch im Interesse der Anbieter sozialer Dienstleistungen und ihrer NutzerInnen.
- Der – zu erwartende – hohe Aufwand bei Vergabeprozessen benachteiligt bestimmte Anbieter und kann – und wird – bewährte soziale Netzwerke gefährden.
- Soziale Dienstleister sind nicht nur Auftragnehmer, sondern auch Entwicklungspartner bei der Lösung sozialer Herausforderungen – dieser partnerschaftliche Zugang aus der Vergangenheit und Gegenwart muss in der Zukunft aufrechterhalten bleiben.
- Das Vergaberecht darf nicht dazu führen, lukrative Bereiche zu privatisieren und ökonomisch unattraktive Bereiche zu sozialisieren.
- Das Vergaberecht ist nur ein Weg, alternative Formen der Finanzierung von sozialen Dienstleistungen können – und sollen – geeignetere Instrumente sein.
Inhaltlich möchten wir zum Bundesvergabegesetz 2017 folgendes ausführen:
Der Gesetzgeber sollte, jedenfalls soweit es sich um Sozialdienstleistungen seitens der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihres Auftrags der sozialen Daseinsvorsorge handelt, ausdrücklich die Möglichkeit eines Rechtsformvorbehaltes zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen (EuGH C-70/95 – Sodemare) normieren. Der Judikatur des EuGH folgend verstößt es nicht gegen die Artikel 52 und 58 EG-V, wenn ein Mitgliedstaat es allein privaten WirtschaftsteilnehmerInnen, die keinen Erwerbszweck verfolgen, erlaubt, sich an der Durchführung seines Systems sozialer Hilfe dadurch zu beteiligen, dass sie Verträge schließen, die einen Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten durch Leistungen der Sozialhilfe beinhalten. Sozialhilfe und bedarfsorientierte Mindestsicherung bilden hierzu die materiell-rechtliche Grundlage der Erbringung von Sozialdienstleistungen. Die Behindertenhilfe bzw. Leistungen für Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen ist verfassungsrechtlich kompetentiell Teil des Armenwesens und daher in diesem Vorbehalt inkludiert. D. h., dass ein Ausschluss gewinnorientierter Unternehmen durch den öffentlichen Nachfrager zumindest in den genannten Bereichen im Einzelfall begründet möglich sein sollte.
Der Spielraum der RL 24/2014 zum Einbau sozialer und ökologischer Vergabekriterien wurde im Hinblick auf § 20 Abs 6 des Entwurfs nicht genutzt. Nicht nur, dass sich § 20 Abs 6, 8 nicht in § 151 Abs 1 des Entwurfs widerspiegelt, die Textierung von § 20 Abs 6, 8 Entwurf bleibt zudem eine Kannbestimmung. Es wird daher angeregt,
- § 151 Abs 1 um die Anwendbarkeit des § 20 Abs 6 zu erweitern,
- in § 20 Abs 6 selbst eine zwingende Bedachtnahme auf soziale und ökologische Kriterien zu verankern,
- § 151 Abs 2 des Entwurfs als Verpflichtung zur Berücksichtigung dieser sozialen und ökologischen Vergabekriterien zu formulieren und
- jedenfalls für besondere Dienstleistungsaufträge die gegenständlichen Kriterien in einem Anhang zum Bundesvergabegesetz einen für die vergebenden Ämter/Behörden verbindlichen Katalog einzufügen.
Dafür spricht auch, dass eine Folge der Neuordnung in RL 24/2014 die Gleichstellung der (bisher) primären Zwecke des Vergaberechts (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und des freien und lauteren Wettbewerbs) mit den (bisher) sekundären sozial-ökologischen Zwecken des Vergaberechts beinhaltet. Bislang durften ja „vergabefremde“ Aspekte nur insoweit berücksichtigt werden, als sie mit dem konkreten Auftragsgegenstand zusammenhängen. Diese sozialen und ökologischen Vergabekriterien bezogen sich z. B. auf die Sicherung von Beschäftigung, das Erreichen von Sozialstandards oder die Nachhaltigkeit von Wachstumsimpulsen. Auf Grundlage von RL 24/2014 können nunmehr „vergabefremde Kriterien“ auch unabhängig vom Auftragsgegenstand angewandt werden – sich also explizit auch auf die betrieblichen Umstände beziehen, unter denen Dienstleistungen erbracht werden. Derlei „vergabefremde Kriterien“ können insbesondere sein:
- Mindestanforderungen für anbietende Unternehmen (Art 29 Abs 1 und 3; Art 45 Abs 2, Art 58 Abs 5 der RL 24/2014) sind offen formuliert (Auftraggeber geben Mindestanforderungen vor).
- Eignungskriterien (Art 58 der RL 24/2014) und Ausschlussgründe (Art 57 der RL 24/2014) wie den Verstoß gegen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Vorschriften.
- Zuschlagskriterien (Art 67 der RL 24/2014).
- Bedingungen der Durchführung von Aufträgen (Art 70 der RL 24/2014)
Diese Kriterien lassen sich im Hinblick auf den sozialrechtlichen Rahmen, professions- und unternehmensrechtliche Maßgaben sowie die Zwecksetzungen der Sozialwirtschaft wie folgt herunterbrechen:
Mindestanforderungen für Anbieter bei Festlegung des Dienstleistungsauftrags (gegenwärtig in § 2 Z 22 lit a des Entwurfs):
Es sind dies Kriterien, nach welchen die Qualität der BewerberIn beurteilt wird. Dies kann indiziert sein durch den Nachweis insbesondere von
- Dienstleistungs- und Projekterfahrungen,
- Zielgruppenerfahrung,
- Stabilität und langfristige Marktpräsenz,
- Regionalität,
- verfügbarem fachlichem Wissen auf psychosozialer/sozialpsychiatrischer, sozialwirtschaftlicher, sozialarbeiterischer bzw. sozialpädagogischer Basis,
- Supervisions-/Intervisionsmöglichkeiten,
- betrieblichen Fort- und Weiterbildungsprogrammen,
- Barrierefreiheit im Unternehmen,
- der Berücksichtigung von Bestimmungen des Arbeits- und Sozialrechtes – unabhängig von Art 18 der EU-Vergabe-RL,
- des Vorliegens gleicher Entlohnungs- und Beschäftigungsbedingungen für Männer und Frauen,
- gleicher innerbetrieblicher Aufstiegschancen für Männer und Frauen,
- Maßnahmen zur Verbesserung der Family-Worklife-Balance,
- Maßnahmen zur Berücksichtigung der Belange von Alleinerziehenden,
- der Einhaltung von Normen der Mindestentlohnung (z. B. Kollektivverträge),
- betrieblichen Gesundheitsförderungsprogrammen und –maßnahmen.
Eignungskriterien und Ausschlussgründe (Mindestanforderungen betreffend die Befugnis, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit – gegenwärtig in § 2 Z 22 lit c des Entwurfs):
Dies kann indiziert sein durch den Nachweis insbesondere von
- Sachzieldominanz oder Gemeinnützigkeit des Leistungserbringers (Reinvestition von Überschüssen/Gewinnen).
- Zur Sachzieldominanz siehe Art 20 der RL 2014/24: Mitgliedstaaten können das Recht zur Teilnahme an einem Vergabeverfahren geschützten Werkstätten und WirtschaftsteilnehmerInnen, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, vorbehalten oder sie können bestimmen, dass solche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchgeführt werden, sofern mindestens 30 % der ArbeitnehmerInnen dieser Werkstätten, WirtschaftsteilnehmerInnen oder Programme Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte ArbeitnehmerInnen sind. In der Tat regelt § 23 (des Entwurfs) vorbehaltene Aufträge zugunsten sozialer und beruflicher Integration.
- Zur Gemeinnützigkeit: Es besteht die Möglichkeit eines Rechtsformvorbehaltes zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen (EuGH C-70/95 – Sodemare). Diesem Rechtsformvorbehalt zufolge verstößt es nicht gegen die Artikel 52 und 58 EG-V, wenn ein Mitgliedstaat es allein privaten WirtschaftsteilnehmerInnen, die keinen Erwerbszweck verfolgen, erlaubt, sich an der Durchführung seines Systems der Sozialhilfe dadurch zu beteiligen, dass sie Verträge schließen, die einen Anspruch auf Erstattung der Kosten von gesundheitsbezogenen Leistungen der Sozialhilfe (einschließlich Behindertenhilfe in Österreich) durch die Behörden vorsehen. Ein Ausschluss gewinnorientierter Unternehmen ist als begründet möglich
- Bisherige Dienstleistungserbringung.
- Einschlägige Projekterfahrung.
- Nachweis der Professionalität und Qualifikation des Personals.
- Einhaltung arbeitsrechtlicher und sozialer Bestimmungen.
- Chancengleichheit.
Spezifizierte soziale Kriterien als Zuschlagskriterien (gegenwärtig in § 2 Z 22 lit d des Entwurfs) wurden nicht eingefügt. Das Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ reicht nicht aus, um den Spezifika der Sozialwirtschaft Rechnung zu tragen. Zwar sind diese frei gestaltbar, so lange Bezug zum Vertragsgegenstand, ausdrücklich bekanntgemacht und nicht im Widerspruch zu Grundprinzipien (Transparenz; Gleichbehandlung) steht. Wünschenswert wäre ein Anhang – denkbar sind hier insbesondere folgende Zuschlagskriterien:
- Grundsätzlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
- Verzicht auf atypische Beschäftigung bzw. Personalzusammensetzung im Hinblick auf minimierte Anzahl atypischer oder prekärer Beschäftigungsverhältnisse.
- Berücksichtigung von Beschäftigungschancen für Personen mit eingeschränktem Arbeitsmarktzugang.
- Einbeziehung von fairem Handel.
- Freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zu sozialer Verantwortung.
- Behindertengerechte Arbeitsplätze.
- Beschäftigung von Auszubildenden bzw. Verfügbarkeit von Lehrplätzen/Lehrlingsausbildung.
- Beschäftigungsmöglichkeiten für Wiedereinsteigerinnen.
- Beschäftigungsmöglichkeiten von vordem arbeitslosen oder langzeitarbeitslosen Personen.
- Beschäftigung von MigrantInnen bzw. Förderprogramme für MigrantInnen im Unternehmen.
- Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen über 45.
- Förderung von Vielfalt (geschlechtertechnisch, ethnisch, alterstechnisch u. ä.) im Unternehmen.
Darüber hinaus verweisen wir auf die inhaltlichen Ausführungen zum Gesetzesentwurf der VertreterInnen des sozialen Dienstleistungssektors – ÖAR, arbeit plus, BAG, dabei austria und Sozialwirtschaft Österreich (S 4 – 9 der Stellungnahme).
pro mente Austria ersucht, obige Argumente zu berücksichtigen und in den weiteren Gesetzwerdungsprozess eingebunden zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny
Präsident pro mente Austria