Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen und das Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert werden.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die pro mente Austria ist der Dachverband von 24 Trägern der psychosozialen Versorgung in Österreich. Aus diesem Grund bezieht sich die Stellungnahme auf den Text aus dieser Sicht.

1. Grundsätzliche Anmerkungen zum Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen (Sterbeverfügungsgesetz – StVfG):

Allgemein:

Da die grundlegende Möglichkeit zum assistierten Suizid im Gesetzesentwurf bereits festgelegt wurde, geht es hier um die Rahmenbedingungen, in die dieses Vorgehen gekleidet wird.

Die Regelung betrifft mehrere grundsätzliche Bereiche:

1.) Die Voraussetzung, dass die Entscheidung auf einer überdauernden Willensbildung erfolgt.

Was ist aber zu einer freien Willensbildung notwendig.

a) Soziale und ökonomische Rahmenbedingungen, die es der Person ermöglichen, sich ohne Druck und Beeinflussung zu entscheiden.

b) Die Sicherheit, dass keine dritte Person oder Partei steuernden Einfluss auf die Willensbildung nimmt.

c) Ausreichende medizinische, therapeutische Versorgung und weitere Unterstützung beim Lebensvollzug, die sicherstellt, dass eine würdige Lebensführung möglich ist – besonders in Hinblick auf die Fähigkeit, bei weitgehend intakter kognitiver Situation zu kommunizieren und auf die Freiheit von Schmerzen.

d) Die Entscheidung darf nicht durch krankhafte psychische Veränderungen wie Ängste, Depressionen, Wahn etc. oder auch kognitive Einschränkungen (einschließlich Demenz) und die damit einhergehende negative Sicht auf die Zukunft, die keinen anderen Ausweg und Perspektiven offenlassen, beeinträchtigt werden.

Das setzt voraus, dass folgende Rahmenbedingungen festgelegt werden, um überhaupt von einer freien Entscheidung, und damit der Basisvoraussetzung für diese Regelung, sprechen zu können.

Ad la) Es muss sichergestellt sein, dass die Person in sozialen Rahmenbedingungen (Wohnsituation, Einkommen etc.) lebt, die es ermöglichen, auch unter den bestehenden Rahmenbedingungen sich die Behandlung, die dazu notwendigen Hilfsmittel und pflegerische Unterstützung sowie das alltägliche Leben leisten zu können, ohne dadurch die Familie oder einzelne An- und Zugehörige zu be- und überlasten. Das bedeutet auch, dass diese Mittel ohne großen bürokratischen Aufwand und lange Wartezeiten zugestanden werden, und die betroffenen Menschen nicht unnötig zu Bittstellern gemacht werden.

Dass in diesem Zusammenhang eine sozialarbeiterische oder erweitert psychosoziale Betreuung dringend notwendig ist, um das zu ermöglichen, wurde im Vorfeld öfter erwähnt, ist aber nicht in den Text eingeflossen. Die bestehende Versorgung ist für diesen Bereich bei weitem nicht ausreichend und mit viel zu langen Wartezeiten verbunden. Es sollte hier, da es sich um einen zentralen Punkt der Sicherung der freien Entscheidung handelt, ebenso wie bei der Palliativpflege, die Wichtigkeit im Gesetzestext erwähnt, und nach Möglichkeit flanierend im Hintergrund Mittel für den Ausbau bereitgestellt werden.

Ad lb) Diese Einflussnahme durch Dritte kann willentlich erfolgen. Es ist aber auch möglich, dass sehr deutlich ausgedrücktes Leiden einer dritten Person an der Situation – aus welchen Gründen auch immer – bei der betroffenen Person dazu führt, dass sie sich als Ursache dieses Leidens sieht und daraus selbstzerstörerische Schlüsse zieht.

Aus diesem Grund sind absichtliche Beeinflussungen durch das Gesetz auszuschließen, und müssen unbewusste Einflussnahmen angesprochen und in einem mediationsähnlichen, evtl. therapeutischen Prozess aufgearbeitet werden.

Ad lc) In vielen Fällen wird eine würdige Lebensführung nur durch eine adäquate palliativmedizinische Versorgung möglich sein. Die hier im Vorschlag gefundene deutliche Schwerpunktsetzung in diesem Bereich ist richtig.

Besonders auch, dass durch die im Hintergrund bereit gestellten Mittel zur Verbesserung dieser Versorgung aufgezeigt wird, dass der hier bestehende Mangel erkannt wurde und der Wille zur Behebung besteht.

Ad ld) Psychische Erkrankungen als Folge einer terminalen Erkrankung oder als selbstständige Basis für Suizidgedanken sind regelmäßiger und oft entscheidender Teil im Prozess zum Wunsch auf Suizid. Aus diesem Grund ist klarzustellen, dass keine Erkrankung oder Beeinträchtigung aus diesem Bereich, die behandelbar wäre, vorliegt.

Das setzt 2 Dinge voraus:

Es muss zumindest einmal zwingend und nicht fakultativ eine Psychiaterin konsultiert werden und begleitend auch eine Vorstellung bei einer Psychotherapeutin oder Psychologln erfolgen.

Sollte eine solche Problemstellung oder der Verdacht drauf bestehen, ist die unverzügliche und kostenfreie Behandlung in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung zu stellen. Dieser Schwerpunkt wäre deutlich im Text zu verankern und bedarf, um in Realität umgesetzt werden zu können, auch des Ausbaus der Versorgung in Hinblick auf psychiatrische Behandlung, sowie psychologische und psychotherapeutische Behandlung, ohne Wartezeit und Kosten.

Im Sinne einer umfassenden Beratung müssen diese Professionisten auch die Fragestellungen aus la,b,und c thematisieren und fakultativ weitere Professionen heranziehen, um eine solche umfassende Beratung zu ermöglichen.

2.) Wie erfolgt die Aufklärung der betroffenen Person:

Hier wurde im Vorschlag ein sehr gangbarer Weg gefunden. Wenn im Vorfeld abgeklärt wurde, um welche Erkrankung oder Problemstellung es sich handelt, und festgestellt werden konnte, dass es sich nicht um ein psychiatrisches Problem handelt, wäre die Formulierung in Ordnung. Da das aber im Text nicht geregelt ist – und in der Realität meistens nicht erfolgt – ist es zwingend, im Text nicht die Alternative zwischen Psychiaterin, Psychologln oder Psychotherapeutin offen zu lassen. Da die Einschätzung, ob eine etwaige psychiatrische Problemstellung behandlungsbedürftig und -fähig ist, ohne psychiatrische Expertise nicht geht, ist diese psychiatrische Abklärung in den Kontext des Ablaufes verpflichtend einzubauen.

3.) Zur Errichtung der Verfügung:

Hier erscheint der Text der Vorlage ausreichend gut differenziert zu sein.

4.) Dokumentation und Sterbeverfügungsregister:

Hier erscheint der Text der Vorlage ausreichend gut differenziert zu sein.

5.) Unwirksamkeit, Widerrufbarkeit:

Hier erscheint der Text der Vorlage ausreichend gut differenziert zu sein.

6.) Präparat:

Hier erscheint eine Lücke in dem Fall, in dem die betroffene Person das Präparat zwar erhalten hat, aber vorzeitig verstirbt, ohne es eingenommen zu haben. Das ist bei aggressiven Erkrankungen aber immer wieder möglich. Aus diesem Grund sollte klar definiert werden, wie mit dem Präparat umzugehen und wer für die Rückgabe zuständig ist.

7.) Werbeverbot und Verbot wirtschaftlicher Vorteile, sowie Verwaltungsstrafbestimmungen:

Hier erscheint der Text der Vorlage ausreichend gut differenziert zu sein.

Anmerkung: 

Die in diesem Vorschlag geregelten Vorgehensweisen sind zwar, bis auf die vorgebrachten Einwendungen, richtig, aber nicht gerade kostengünstig.

Durch die notwendigen Gutachten, Notar und Preis des Präparates, ist von Kosten um die€ 2.000.- je nach Tarifgestaltung auszugehen.

Da im Gesetz kein Passus für die Finanzierung enthalten ist, scheint der Gesetzgeber davon auszugehen, dass die Betroffenen das selbst finanzieren.

Das schließt Menschen mit einem Einkommen im Bereich der Mindestsicherung aus (mit

€ 900 im Monat hat man sich diese Summe, wenn überhaupt, erst in einer Zeit erspart, die nicht zum Zweck dieses Gesetzes passt).

Es handelt sich ohne entsprechende Lösung im Entwurf um eine soziale Ungleichbehandlung, die dieser Gruppe von Menschen den Zugang zu dieser, jetzt vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeit, vorenthält.

11. Zu den Bestimmungen im Einzelnen:

§ 6 (1) und§ 8 (13) 1.

Die Person muss zum Zeitpunkt der Errichtung volljährig und entscheidungsfähig sein.

Wie wird diese Entscheidungsfähigkeit bestimmt? Bedeutet eine Nichtuntersuchung eine nicht bestehende Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit?

Hier wäre in diesem Kontext mehr als ein Hinweis auf§ 24 AGBG in den Erläuterungen notwendig.

li_ill 2.

an einer schweren, dauerhaften Erkrankung mit anhaltenden Symptomen leidet…

Diese Formulierung ist eindeutig zu diffus, da hier fast alle chronischen Erkrankungen und Zustände hineinpassen (Diabetes, Bandscheibenproblematik, Querschnittslähmung etc.)

Es ist notwendig sowohl den Begriff schwer als auch den Begriff dauerhaft exakter zu definieren.

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Hier hat verpflichtend eine psychiatrische Auf- aber auch Abklärung zu erfolgen. idealerweise in der gleichen Stärke wie es hier für die Möglichkeiten der Palliativmedizin definiert wird. Psychiatrische Problemstellungen sind in diesem Kontext ähnlich häufig und gravierend wie palliativmedizinische.

Im Punkt 4. wäre zusätzlich Psychiatrie und (nicht oder) klinische Psychologin zu formulieren.

Um eine umfassende Information zu gewährleisten, können Psychiaterin oder Psychologin fakultativ andere Professionisten zur Beratung beiziehen.

Die anderen Punkte, die vorab festgestellt wurden, fehlen völlig, und sind daher nicht einzelnen Paragraphen zuordenbar. Trotzdem stellen sie zentrale Forderungen für ein ausgewogenes Gesetz dar.

pro mente Austria bedankt sich an dieser Stelle für die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme und ist sehr gerne bereit, in einem weiteren partizipativen Prozess ihre Expertise einzubringen – v. a. was die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen mit psychiatrischen, psychischen oder psychosozialen Problemstellungen betrifft.

Mit dem Ersuchen um Berücksichtigung obiger Ausführungen verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Dr. Günter Klug
Präsident pro mente Austria