Stellungnahme zum Entwurf PsychotherapieG 2024

Stellungnahme von pro mente Austria – Österreichischer Dachverband der Vereine und Gesellschaften für psychische und soziale Gesundheit – zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem ein Bundesgesetz über die Ausübung der Psychotherapie (Psychotherapiegesetz 2024 – PthG 2024) erlassen sowie das Musiktherapiegesetz, das Psychologengesetz 2013 und das Universitätsgesetz 2002 geändert werden.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Rauch,
sehr geehrte Damen und Herren,

pro mente Austria ist der Dachverband von 26 gemeinnützigen Organisationen, die in Österreich im psychosozialen und sozialpsychiatrischen Bereich tätig sind.

Ziel von pro mente Austria ist es, das Leben und die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen nachhaltig zu verbessern und sie und ihr soziales Umfeld zu unterstützen und zu stärken.

Das Angebot der 26 Mitgliedsorganisationen von pro mente Austria ist breit gefächert. Sie betreuen österreichweit mit rund 5.500 Mitarbeiter:innen Menschen mit psychischen oder psychiatrischen Problemen bzw. Erkrankungen und deren Angehörige.

Aus diesem Grund bezieht sich die Stellungnahme auf den Text aus dieser Sicht.

Allgemeines
Zu Beginn möchten wir festhalten, dass eine Akademisierung der Ausbildung für Psychotherapie von pro mente Austria befürwortet und begrüßt wird.

Wir verstehen unter Akademisierung, dass es dieselben Voraussetzungen und Kostentragungsregelungengeben muss wie bei allen anderen universitären Studienrichtungen. Es musss daher sichergestellt werden, dass die öffentlichen Universitäten ausreichend Studienplätze anbieten. Das Ziel muss sein, dass diese Ausbildung allen, unabhängig ihrer finanziellen Situation zugänglich ist. Die Ausbildung an privaten Universitäten kann nur ein „add on“ – ähnlich den medizinischen Studien (wie z. B. die PMU in Salzburg) sein – aber kein Standard. Wenn wir von Ausbildung reden, muss diese ähnlich wie in anderen verwandten Berufen im Sozialbereich (wie z. B. Sozialarbeit, Sozialbetreuungsberufe, Psychologie, Soziologie u. ä.) geregelt sein. Umgekehrt gedacht: Es kann keine Fortsetzung der „bezahlten/zu bezahlenden“ Ausbildung sein, wenn es darum geht, einen Grundsozial- und Gesundheitsberuf anzubieten und Menschen dafür auszubilden. Dies widerspiegelt sich z. B. auch in der ASVG-Logik der „Psychotherapie“, die dort als Kassenleistung normiert ist und somit allen sozialversicherten Menschen (gratis) zur Verfügung steht (stehen sollte).

Grundsätzlich ist weiters anzumerken, dass die Psychotherapieausbildung bis zur Eintragung in die Liste mit vollem Berufsrecht zu den längsten Ausbildungen gehört. Bachelor, Master und dann noch bis zu 5 Jahre postgraduelle Ausbildung ist in Summe wesentlich mehr als in anderen vergleichbaren Studien (klinische. Psychologie etc.) gefordert wird. Unseres Erachtens nach sollte der dritte Teil der Ausbildung in etwa an die Dauer der Ausbildung der klinischen Psychologie angepasst werden.

Mit jedem neuen Gesetz die Ausbildung durch selbstfinanzierte postgraduelle Erfordernisse zu verlängern, stellt zwar ein stabiles Einkommenskonzept für bestimmte Gruppen dar, es ist aber bereits eine Grenze erreicht (in diesem Fall ca. 10 Jahre), die Studien unattraktiv macht und dadurch in Zukunft eher zu Mangel am Arbeitsmarkt führen wird. Das abgesehen davon, dass hier wieder immense Kosten
entstehen, die immer auf die Ausbildungskandidat:innen abgeschoben werden.

Eine Eintragung in die Berufsliste mit einem Psychotherapie- Masterstudium und einem „artfremden“ Bachelor sollte in keinem Fall möglich sein. Siehe § 10, Ab 2 Z3
und 4.

Eine Tätigkeit als Psychotherapeut:in ohne Erfahrung im sozialpsychiatrischen Kontext – also in der Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen – ist für uns nicht denkbar. Das wäre in etwa so, als wenn ein Mechaniker eine Abschlussprüfung macht, ohne jemals ein Auto gesehen zu haben. Dementsprechend wünschen wir als pro mente Austria Folgendes: a) Verpflichtung für Studierende, im sozialpsychiatrischen Arbeitskontext eine bestimmte Mindestanzahl an Stunden tätig zu sein. b) Der sozialpsychiatrische Kontext kann entweder den stationären psychiatrischen Bereich umfassen oder den außerstationären Bereich. Hier würde auch eine Klarstellung helfen, dass eine „facheinschlägige Einrichtung des Gesundheitswesens“ jegliche (vom Gesetz anerkannte) Einrichtung ist, in der Psychotherapie angeboten wird.

Allgemeine Eignungsprüfungen als Zugang zum Studium lehnen wir ab, weil die Eignung in einer Prüfung schwer zu bewerten ist. Wenn Reihungsprüfungen notwendig sind, weil es mehr Bewerber:innen als zur Verfügung stehende Studienplätze gibt, dann ist ein geeignetes Auswahlverfahren sicherzustellen.

In der Ausbildung zur Psychotherapie sind uns 2 Aspekte besonders wichtig:
a) In der Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen ist es für uns state of the art, dass multiprofessionell gearbeitet wird. Dieser Aspekt gehört in jedem Fall in die Ausbildung aufgenommen. Dieser Aspekt findet sich auch in
den EB zur RV, S. 1, wenn davon die Rede ist, dass „Die Psychotherapie […] oszilliert seit jeher in multidisziplinären Strukturen.“ Davon ist unseres Erachtens in diesem Gesetzesentwurf wenig zu lesen, sondern vielmehr manifestiert sich die Psychotherapie als Mischung aus universitärer Grundstruktur und standesberufspolitisch bedingtem Paarlauf mit den Fachgesellschaften.

b) Die Sozialpsychiatrie ist jenes Tätigkeitsfeld, in dem Psychotherapeut:innen sehr oft tätig sind. Dieses Feld ist sehr vielfältig, bundesländerunterschiedlich und gleichzeitig die Basis außerhalb selbständiger Tätigkeit als
Psychotherapeut:in, wo fertige Studierende dann tätig sein werden. In diesem Sinne plädieren wir sehr dafür, die mannigfaltigen Wissensbereiche der Sozialpsychiatrie mit in die Lehrpläne aufzunehmen. Uns ist es wichtig, dass nicht nur Lehrbuch- und Schreibtischwissen an angehende Psychotherapeut:innen vermittelt wird, sondern v. a. Praxiswissen im Umgang mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern, Lebensgeschichten, sozioökonomischen & soziokulturellen Hintergründen und allen anderen individuellen und sozialen Grundlagen der zu betreuenden Menschen gelehrt wird. Dazu gibt es schon verschiedenste moderne methodische und didaktische Zugänge und Instrumente, die im Alltag der Arbeit von pro mente Austria Eingang gefunden haben. Wir würden uns sehr freuen, wenn diese Ausbildung „am Zahn der Zeit“ startend und ausgerichtet ist.

Hinweis: In der Anlage zu §§ 11, 12 ist unter 1. b) bzw. im letzten Absatz u. a. Psychopathologie und Psychosomatik vorgesehen. Aus unserer Sicht fehlt hier die Sozialpsychiatrie. Weiters würden wir sehr empfehlen, zielgruppenspezifische Fächer und Aspekte wie Kinder- und Jugendpsychiatrie, Alterspsychiatrie, Suchtmedizin u.ä. mit aufzunehmen.

Psychotherapiebeirat:
In diesem beratenden Gremium sollten unbedingt auch Psychotherapeut:innen aus dem angestellten Bereich mit ihrer Expertise beratend tätig sein. pro mente Austria, der Dachverband der sozialpsychiatrischen Organisationen mit ca. 5500 Beschäftigten stellt den größten Zusammenschluss von Trägern und damit Dienstgeber:innen für Psychotherapeut:innen (in vollversicherten Dienstverhältnissen) in Österreich dar. Sie würde dieses praktische Wissen gerne diesem Gremium zur Verfügung stellen.

Zu den gesetzlichen Regelungen:
Artikel 1:

§ 8 Abs 1: Es mag vielleicht ein zu vernachlässigendes Nebenthema sein, aber grundsätzlich. tendiert die gendergerechte Sprache dahin, dass allgemein geschlechtsneutrale Bezeichnungen mit z.B. einem Doppelpunkt (:) gekennzeichnet sind. Wenn dies nun nach § Abs 1 Z 3 nur mehr jene sind, die divers u. ä. sind, wird es schwierig, in einer Gesamtheit von „Psychotherapeut:innen“ zu besprechen, weil damit gesetzlich nur mehr jene des 3. Geschlechtes (und weitere) umfasst sind.
Außerdem führt diese Vorgabe dazu, dass diese Bezeichnungen zu einem Zwangsouting der Geschlechtszugehörigkeit führen. Vorschlag: Psychotherapeut:in für alle Geschlechter. Es steht jeder Person frei selbst auf eine geschlechtsbezeichnende Schreibweise zu wechseln.

§ 10 Ab 2 Z 3 und 4: Die Anerkennung dieser abgespeckten Grundausbildung erscheint für die Qualität der weiteren Arbeit nicht ideal und sollte noch einmal überdacht werden. Eine Eingrenzung auf Z 1 und 2 ist wünschenswert.

Theorie-Praxis-Themen (vgl. § 11 Abs 1 Z 3, § 12 Abs 1 Z 3): Es ist selbstredend, dass ein „Studium“ a priori mit Wissenschaftlichkeit verbunden sein muss. Gleichzeitig erwarten wir uns als Dachverband für psychische und soziale Gesundheit, dass Menschen akademisch geschult werden, die dann in der Praxis der Arbeit mit Menschen v. a. praktische Fähigkeiten erlernt haben. Eine Verakademisierung, die zu sehr auf Wissenschaftlichkeit beruht, kann für uns nicht das Ziel sein. In diesem Sinne ersuchen wir um „Augenmaß“, bei einer neuen Ausbildung auf jene Tätigkeiten abzuzielen, die nach der Ausbildung der Hauptfokus der Arbeit sein wird – und das war, ist und wird auch in Zukunft die Arbeit der Psychotherapeut:innen mit Menschen, die erkrankt sind, sein. Ein kleiner Teil mag in die Forschung und Wissenschaft gehen. Wir hoffen nur, dass mit dieser Ausbildung nicht derselbe „falsche“ Weg gegangen wird wie bei der Pflege oder Ausbildung von Lehrer:innen, wo nun wieder „rückgebaut“ werden muss, weil es an jenen ausgebildeten Menschen fehlt, die Menschen pflegen und/oder junge Menschen bilden. Ab dem dritten Ausbildungsabschnitt mag die Wissenschaftlichkeit ein anderer Fokus sein – wir ersuchen aber dringend, dass die BA und MA der Psychotherapie fachlich-inhaltlich für den Praxisalltag geschult sind

§ 14: Wir gehen davon aus, dass „psychotherapeutische Versorgungseinrichtungen“ all jene Institutionen umfasst, in denen Psychotherapie angeboten wird und wenn eine entsprechende Anleitung zur Verfügung gestellt werden kann, auch als Praktikumsplätze anerkannt werden. In einem multiprofessionellen Team ist für die fachliche Qualität der Arbeit jede Profession eigenverantwortlich, die Teamleitung übernimmt das organisatorisch am besten geeignete Teammitglied und wird vom Dienstgeber bestimmt. Der Dienstgeber hat die gesamtfachliche Verantwortung zu lösen. Unserer Ansicht nach ist es erforderlich, dass ein großer Teil der praktischen Ausbildung in Einrichtungen erfolgt, in denen Patient:innen mit schweren psychischen Erkrankungen betreut werden. Weiters muss die Abklärung von eventueller Suizidalität der Patient:innen und eine Bezugnahme auf psychosoziale Rahmenbedingungen und soziale Problemstellungen ein wesentlicher Bestandteil der praktischen Ausbildung sein.

§ 18 Abs,4 Z 2: siehe auch § 19 Abs 3 Z 4: Es wäre sinnvoll, wenn einer der Beisitzenden neben seiner psychotherapeutischen Qualifikation auch eine entsprechende Qualifikation in klinischer Erfahrung (Psychiatrie oder Ähnliches) mitbringen würde. Das wäre für die spätere praktische Tätigkeit ein Qualitäts- und Sicherheitsmerkmal. Wir finden es außerdem bemerkenswert, dass die akademische Prüfung nun gemeinsam mit einer Fachgesellschaft zu absolvieren ist. Das ist ein echtes Novum in der akademischen Ausbildung in Österreich.

§ 21 Abs 2 Z1 und 2 Bei der Auflistung in den Klammern gehört „zB.“ ergänzt – (wie z.B. ..) sonst setzt man Ausschließlichkeit fest.

§ 22 Abs 2: „…und grundlegende Kenntnisse angrenzender Wissensgebiete (wie z.B. Psychiatrie, Entwicklungspsychologie etc)“… ist zusätzlich einzufügen. Die Tätigkeit ist egal ob angestellt oder selbstständig immer im multiprofessionellen Kontext zu erbringen und benötigt Anschlussfähigkeit in alle Richtungen

§ 41 Abs 2: Es ist zu klären, in welcher „Rechnungsvariante“ ECTS-Punkte bezüglich Supervision oder Intervision festgelegt werden.

§ 46: Psychotherapie mit Minderjährigen ist an eine entsprechende zertifizierte Zusatzausbildung zu binden (zumindest bei Kindern unter dem 14 Lebensjahr)

§ 56 Abs 3: Neben den Vertreter:innen der niedergelassenen Psychotherapeut:innen sollte aus praktischer Sicht auch eine Vertreter:in der angestellten Psychotherapie ein Mitglied in den Beirat entsenden. Als größter Dachverband der Arbeitgeber, die die meisten Psychotherapeut:innen angestellt haben, und durch ihren sozialpsychiatrischen Schwerpunkt auch das Spektrum der Sichtweisen erweitern, bietet sich hier eine Vertreter:in von pro mente Austria an.

§ 58 Abs 1: Eine Einberufung nur 10 Tage vor der Sitzung erscheint abgesehen von akuten Notwendigkeiten unrealistisch kurz, um eine umfassende Teilnahme zu ermöglichen.

Artikel 4 – Änderung des Universitätsgesetzes 2002
3. in §71: Die angepeilten 500 Studienplätze müssen von öffentlichen Universitäten zur Verfügung gestellt werden. Plätze an Privatuniversitäten können nur zusätzlich vorgehalten werden. Sonst würde sich ein Sinn dieses Gesetzes, die Finanzierung dieser wichtigen Ausbildung im Gesundheitswesen an andere Studiengänge in diesem Bereich anzupassen und sie nicht ausschließlich auf die Ausbildungskandidat:innen umzuwälzen, ins Gegenteil verwandeln. Damit wäre eine massive soziale Ungerechtigkeit geschaffen und die Ausbildung würde durch die Privatuniversitäten noch deutlich teurer werden als bisher.

pro mente Austria bedankt sich an dieser Stelle für die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme und ist sehr gerne bereit, in einem folgenden partizipativen Prozess weitere Expertise einzubringen.

Mit dem Ersuchen um Berücksichtigung obiger Ausführungen verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

PDoz.Dr. Günter Klug
Präsident von pro mente Austria