Überforderung im Heimunterricht – Brief an Bundesminister Fassmann

Sehr geehrter Herr Bundesminister Univ.-Prof. Dr. Faßmann!

Die Corona-Krise hat uns alle fest im Griff. In dieser Ausnahmesituation hat das Bildungsministerium rasch und umsichtig notwendige Maßnahmen ergriffen, um Schüler*innen und Studierenden die Möglichkeit zu bieten, zu Hause zu bleiben und auch dort Unterricht erhalten zu können. Der bisherige Lernstoff soll lediglich vertieft werden, es soll kein neuer Lernstoff durchgenommen werden.

Dem Österreichischen Behindertenrat sind jedoch seitens seiner Mitgliedsorganisation pro mente Austria Meldungen aus Kärnten, Wien und Niederösterreich zugetragen worden, wonach diese Vorgaben nicht immer eingehalten werden.
Es werden teilweise zu viele und zu schwere Aufgaben mit einem sehr engen zeitlichen Horizont gestellt. Berichtet wird unter anderem von Aufgaben, von denen die Schüler*innen noch nie gehört haben, sowie von vollkommen neuen Inhalten. Das widerspricht den eindeutigen Vorgaben des Bildungsministeriums. Die Bearbeitungszeiten seien so eng, dass auch über das Wochenende (Abgabe an Sonntagen) gearbeitet werden müsse.
Hier gilt zu bedenken, dass viele Kinder und Jugendliche noch nicht gewohnt sind, ihre Zeit eigenständig zu strukturieren und daher mit der zeitlichen Einteilung zur Bewältigung der Aufgaben überfordert sind. Zudem sind zahlreiche Eltern mit der Unterstützung ihrer Kinder bei den Aufgabenstellungen überfordert. Es mangelt in Anbetracht der vielfachen Heimarbeit nicht nur an zeitlichen Ressourcen, sondern auch an geeigneten Arbeitsplätzen zu Hause bzw. an der notwendigen Infrastruktur. Um allen Schüler*innen einen fairen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, braucht es die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die digitale Ausstattung.

Insbesondere für Familien von Menschen mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen stellen diese Umstände massive Barrieren dar. Die Umstände bieten sehr viel Konfliktpotential und können in weiterer Folge zu erhöhter familiärer Gewalt führen.

Der Österreichische Behindertenrat bittet sie eindringlich, einheitliche und klare Regelungen für einen barrierefreien E-Learning Prozess aufzustellen und die Aktivitäten dazu auch zu kontrollieren. Zudem braucht es barrierefreie Informationen für die Eltern, wohin sie sich wenden können, wenn sie mit den beschriebenen Problemen konfrontiert sind.
Die Menschen sind durch die angespannte Situation und die ungewisse Zukunft aktuell einem enormen Druck ausgesetzt. Dieser darf Menschen mit Behinderungen nicht übermäßig treffen und soll sich nicht bei den Kindern und Jugendlichen in der Familie entladen.

In der überaus großen Hoffnung auf eine positive Antwort, verbleiben wir mit besonders lieben Grüßen,

Herbert Pichler, Präsident
Mag.a Dr.in Gabriele Sprengseis, MSc., Geschäftsführerin

Österreichischer Behindertenrat
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